„Es macht unsere Beziehung so besonders, dass sie so unspektakulär ist“.
VON SWANTJE SAGCOB
„Ich liebe es in fremde Welten einzutauchen“, betont Dr. Sven Evers. Der 50-Jährige meint damit die wertvolle Zeitreise, wenn er es sich in seiner Freizeit auf dem Sofa bequem macht und liest. Wenn Marco Wolderich sich auf eine seiner Lieblingswelten einlässt, versteht der 46-Jährige darunter eher kulinarische Vielfalt, denn er liebt es zu kochen. Beide wohnen unter einem Dach. Im Pfarrhaus der Kirchengemeinde Großenkneten. Und seit Januar 2018 sind sie offiziell ein Ehepaar.
Während Marco als Verwaltungsfachangestellter bereits seit 2008 im Großenkneter Sozialamt seine berufliche Herausforderung gefunden hat, folgte der ehemalige Landesjugendpfarrer Evers erst im September 2020 in die Landgemeinde als Nachfolger von Pfarrerin Christiane Geerken-Thomas. Verheimlicht haben die beiden Männer ihre Lebenspartnerschaft zu keinem Zeitpunkt, doch sie hängen es im wahrsten Sinne auch nicht an die große Glocke. Sie standen und stehen zu ihrer Homosexualität ohne viel Aufhebens davon zu machen. Weil es normal ist. „Es macht unsere Beziehung so besonders, dass sie so unspektakulär ist“, betonen beide. Aber war das immer so einfach, bevor die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft (möglich seit 2001 bis 2017) und Homo-Ehe (möglich seit 2017) anerkannt wurde? Fiel ihnen das Outen schwer? Wie haben sie sich eigentlich kennengelernt? Und welche Erfahrungen haben sie gemacht? Sven und Marco berichten darüber offen in einem exklusiven NWZ-Interview.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
„Das Internet macht’s möglich! 70 Prozent der Eheschließungen resultieren heutzutage über diese Kennenlernschiene“, schätzt Marco. „Als Pastor habe ich zwar mit vielen Menschen zu tun, lerne sie aber in meiner Rolle kennen“, weiß Sven. Es sei nicht leicht jemanden kennenzulernen, wenn man voll im Beruf steht, sind sich beide einig. „2003 haben wir uns über ein Portal geschrieben, relativ schnell getroffen und festgestellt, dass es passt. Damals war ich Vikar in Hude, hatte dann eine Pfarrstelle in Großenmeer, Marco pendelte beruflich in seinen Heimatort im Kreis Cuxhaven, später hatten wir knapp zehn Jahre als Wohnort Oldenburg. Doch der große Wunsch nach einem gemeinsamen Lebensmittelpunkt blieb: Wir wollten beide die Wochenendbeziehung beenden, da dies für Pastoren eher eine ungeeignete Form und für den Partner sehr einseitig ist.“
Eine gleichgeschlechtliche Beziehung mit einem Pastor - waren Sie darauf vorbereitet?
Marco: Im ersten Moment habe ich schon geschluckt, weil ich nicht so richtig einschätzen konnte, was auf mich zukommt. Ich habe nur die klassische Kirchenkarriere mit Taufe und Konfirmation hinter mir, danach war erstmal Pause. Jetzt beschäftige ich mich punktuell mit den Thematiken, wenn ich eine Andacht von Sven besuche oder wir privat über berufliche Themen und Fragen ins Gespräch kommen. Es braucht wie in allen Ehen ein Verständnis für den Beruf des anderen.
Sven: Du hast dich bisher aber mehr an meinem Beruf beteiligt als ich an deinem – und sei es das Kuchenbacken fürs Gemeindefest. Aber wir leben gewiss nicht mehr das klassische Bild eines Pfarrhaushaltes. Auch deshalb lege ich Wert auf Abgrenzung. Marco hat zwar insgesamt mehr mit meinem beruflichen Umfeld zu tun, weil in meinem Freundeskreis auch der ein oder andere Pastor auftaucht, andererseits begegne ich den Kollegen meines Mannes aus dem Rathaus genauso.
Wie ist die gleichgeschlechtliche Partnerschaft in der Gemeinde Großenkneten aufgenommen worden?
Marco: Anfangs war ich skeptisch, ob es gutgeht dort zu wohnen, wo ich arbeitet. Aber ich habe meinen Mut zusammengenommen und bin bereits im Vorstellungsgespräch offen mit meiner Homosexualität umgegangen. Und es war nie Thema.
Sven: Wir wurden hier so vorgestellt – im Gemeindebrief und in der NWZ. Mit Sicherheit mag es Menschen geben, denen das nicht passt, aber es hätte eine andere Person jemand anderes vielleicht auch nicht gefallen. Der Gemeindekirchenrat hat mich ja offiziell gewählt.
Wie war die Hochzeit? Wie ist sie zustande gekommen?
„Als das Recht auf Homoehe im Oktober 2017 kam, war es für uns beide eher ein formeller Akt“, betonen Sven Evers und Marco Evers-Wolderich. „Da war die Standesbeamtin in Oldenburg sogar ein bisschen traurig“, erinnern sie sich schmunzelnd: „Wollen Sie nicht wenigstens ins Trauzimmer und soll ich nicht eine kleine Rede halten?“ Das Hochzeitspaar verneinte höflich und leistete „mal eben in der Mittagspause“ die formale Unterschrift im Standesamt.
„Unsere kirchliche Zeremonie hatten wir ja bereits und das Gefühl holt man sich Jahre später auch nicht gleichermaßen zurück. Deshalb gab es auch keine weiteren Festivitäten“, erklärt das glückliche Paar. Hier stand einfach das Bedürfnis, vom offiziellen Recht der „Ehe für alle“ Gebrauch zu machen. Dieses Datum der Eheschließung hat für beide keine große Bedeutung – relevant ist für sie vielmehr der 27. April 2013, als im Beisein einer Oberkirchenrätin in Oldenburg-Ofen ihr kirchlicher Traugottesdienst gefeiert wurde. „Schon damals bei diesem Gottesdienst hatte es keinerlei Diskussion gegeben. Diese Beziehungen waren kirchlich bereits akzeptiert. Und so sollte es ja auch sein“, erklärt das glückliche Paar beim NWZ-Interview im Großenkneter Gemeindehaus.
War das mit eurem Outen auch so leicht?
Marco: Ich hatte schon Angst davor und habe es meiner Familie erst mitgeteilt, als ich mit Sven zusammen war. Weil mir diese Beziehung wichtig war, konnte ich den Schritt aber gehen. Die Reaktionen – auch im Umfeld – waren überraschend positiv, ich habe nie schlechte Erfahrungen gemacht.
Sven: Sowohl das Outen als auch die Akzeptanz haben eine Weile gedauert – damals haben sicher die fehlende gesellschaftliche Anerkennung eine Rolle gespielt wie die damit verbundene Unsicherheit im Umgang. Umso einfacher wurde es, als in der Familie und in ihrem Freundeskreis ebenfalls gleichgeschlechtliche Partner und Partnerinnen auftauchten.
Schätzen Sie die Homo-Ehe noch als Tabu-Thema ein?
„Nein, von meiner Sicht aus nicht, aber es gibt genügend Menschen, die wir als Kirche verscheucht haben“, weiß Sven Evers. „Es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, die eine Trauung gleichgeschlechtlicher Paare verweigern – es ist ein Prozess, der in eine jahrhundertealte Tradition eingreift, Offenheit und ein neues Verständnis verlangt und deshalb Raum und Zeit braucht. Wir beide gehen damit offen um und ich erlebe da auch keine großen Unterschiede zwischen Stadt und Land.“